direkte Antwort ohne Umwege!
Kleinanzeigen
Aktuelles
Ein wilder Appetit19.03.2025
Text und Fotos: Britta Lübbers
Sie starb verarmt und vergessen in einer psychiatrischen Anstalt in Montdevergues. Erst in den späten 1950er Jahren wurden sie und ihr Werk wiederentdeckt – wobei ihre Liebesbeziehung zu Rodin und ihre seelische Krankheit den Blick auf die einzigartige Schönheit ihres Schaffens allzu oft verstellen. Hier setzt das Paula Modersohn-Becker Museum an, „Emanzipation von Rodin“ ist die Ausstellung überschrieben. Und sie gilt nicht Claudel alleine. Gezeigt wird eine Doppelschau, in der ihre Werke denen von Bernhard Hoetger (1874-1949) gegenübergestellt werden. Auch Hoetger war ein aufstrebender Künstler, der sich von den Altvätern befreien wollte. Bereits vor 120 Jahren wurde die Bildhauerkunst der beiden in einer Gemeinschaftsausstellung in der Galerie von Eugène Blot in Paris präsentiert. Es war ein Ausstellungsereignis, von dem heute nur noch ein schmales Katalogheft, eine Fotografie sowie einige begeisterte Rezensionen erhalten sind. Nun werden die französische Bildhauerin und der deutsche Bildhauer und Architekt wieder zusammengebracht. Dass dies im Paula Modersohn-Becker Museum geschieht, passt gut. Denn Hoetger war mit Modersohn-Becker befreundet, kannte die Künstlerkolonie in Worpswede und hatte in den 1930er Jahren die Böttcherstraße in Bremen gestaltet. Da war er bereits Mitglied der NSDAP. Das von Hoetger geschaffene Bronzerelief über dem Eingang, „Der Lichtbringer“, soll eine Hommage an Hitler sein. Doch Hoetgers Kunst verfing nicht, der Führer fand keinen Gefallen an ihr. Er ließ die gesamte Böttcherstraße unter Denkmalschutz stellen – als abschreckendes Beispiel, als „entartete Kunst“. 1938 wurde Bernhard Hoetger aus der NSDAP ausgeschlossen. Die Schau thematisiert dies nur am Rand. Noch ist der Sündenfall ja nicht begangen, die gezeigten Werke entstanden vor dem Faschismus.
Einladung zum Tanz
Camille Claudel kommt aus großbürgerlichem Haus, schon früh zeigt sich ihr künstlerisches Talent. Doch Frauen dürfen nicht an die Kunstakademie. Ihr Vater vermittelt sie als Schülerin an die Werkstatt von Rodin. Sie wird seine Geliebte, seine Muse, seine Kollegin. Bis heute sind viele Arbeiten aus seinem Atelier weder ihr noch ihm zweifelsfrei zuzuordnen. Und Claudel emanzipiert sich, sie sucht und findet ihre eigene Handschrift. Ihre Figuren wirken überaus lebendig, ob Faltenwurf oder Kopfneigung. „Der Walzer“ ist keine Behauptung. Das tanzende Paar, das Claudel geschaffen hat, scheint sich wirklich zu drehen im Takt einer unhörbaren Musik. Sie weiß selbst, wie gut sie ist. Über ihre Skulptur „Die Flötenspielerin“ sagt sie: „Der Anblick weckt wilden Appetit auf die gelungene Figur.“
Nach der Trennung von Rodin hat sie ein eigenes Atelier und ist durchaus erfolgreich. Doch seine Kreise reichen weit, letztlich gelingt es ihr nicht, aus seinem Dunstfeld zu treten. Camille Claudel wird seelisch krank, ihre Familie lässt sie in eine Psychiatrie einweisen. Rund 30 Jahre ist sie weggesperrt. Obwohl die Ärzte ihr nach 20 Jahren bescheinigen, sie sei geheilt, widersetzen sich ihre wohlhabenden Verwandten ihrer Entlassung. Sie stirbt an den Folgen der vom Vichy-Regime angeordneten Hungerrationen für Nervenheilanstalten.
Auch Bernhard Hoetger orientiert sich zunächst an Rodins impressionistischer Formensprache, um sich dann von ihm zu distanzieren. Auch seine Arbeiten flirren und fiebern, auch bei ihm scheinen Kleider und Körper zu fliegen.
Wie monolithisch nimmt sich dagegen „Der Denker“ aus – ja, Rodin ist mit seiner berühmten Plastik ebenfalls vertreten: Sehnen und Muskelstränge, der Boxer Jean Baud saß ihm Modell. Im Hintergrund aber schweben Gewänder, bittet Camille Claudel zum Tanz.
Camille Claudel, Bernhard Hoetger
Paula Modersohn-Becker Museum Bremen
Böttcherstraße 6-10, bis 18. Mai
Kommentare
Keine Kommentare vorhanden.
Wenn Sie Ihr Passwort vergessen haben oder Sie sich registrieren wollen Klicken Sie bitte hier.