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Aufwachsen unter Helden03.05.2023

Aufwachsen unter Helden

Text: Britta Lübbers Foto: Sebastian Fuchs

Muss man nicht stolz sein, zu einer solch aufrechten Familie zu zählen, die in der dunkelsten Zeit einen klaren Kompass besaß? Für Dorothee Röhrig war das „Aufwachsen unter Helden“, wie sie ihr Erwachsenwerden bezeichnet, tatsächlich viele Jahre eher Bürde als Ansporn. „Die latente Schwere der Schicksale lag wie Mehltau über der Familie.“ Dem Familienmantra: „Wir sind nicht wie die anderen“ konnte sie als junger Mensch wenig abgewinnen. Besonders das Verhältnis zu ihrer Mutter blieb ein Leben lang schwierig. Erst nach deren Tod entwickelte sie Verständnis für eine Frau, die stark war, aber wenig von sich preisgab. Dieses Schweigen ist kein individuelles Schicksal, findet Röhrig heraus. Es ist kennzeichnend für das Miteinander der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Die Täterinnen und Täter leugneten ihre Verantwortung, die Opfer verstummten vielfach. Erst 1995 wurde Hans von Dohnanyi posthum vom Vorwurf des Landesverrats freigesprochen. In ihrem in zweijähriger Biografie-Arbeit entstandenen Buch „Du wirst noch an mich denken“ formuliert Dorothee Röhrig nicht nur „eine Liebeserklärung an eine schwierige Mutter“, sie schlägt auch ein spannendes und bis heute nachwirkendes Kapitel deutscher Geschichte auf. Schon im Geleitwort stellt sie klar: „Der Preis des Anstands war hoch. Meine Großmutter und ihre drei Kinder erlebten hautnah Unrecht und Verbrechen und überlebten mit einer tiefen, immerwährenden Wunde.“ Aus dem Berliner Frauengefängnis schreibt Röhrigs Großmutter Christine in einem Brief, sie halte Winterschlaf. „Sie lässt nichts an sich herankommen“, resümiert die Enkelin. Das gilt später auch für ihre Mutter, eine eloquente, mondäne Frau aus dem Bildungsbürgertum, die gerne Modeschöpferin geworden wäre, sich schicker kleidet als die Verwandten, einen liebenden Mann, zwei Kinder und ein Kindermädchen hat, und die auch dann nicht zugänglicher wird, wenn das Schicksal zuschlägt. Etwa als sie mehrere Fehlgeburten erleidet, oder als ihr Mann – noch keine 60 Jahre alt – vor ihr stirbt. Sie ist klug und weltgewandt und steht doch immer im Schatten ihrer Brüder Klaus und Christoph von Dohnanyi. Der eine machte Karriere in der Politik, der andere wird ein gefeierter Dirigent. Auch dies ist Dorothee Röhrig ein spürbares Anliegen – die Mutter aus dem Schatten ins Licht zu holen. Schon Röhrigs Großmutter benannte die Macht der Männer. Sie studierte Zoologie und beschrieb in einem Brief, wie die wenigen Studentinnen, sobald sie sich für einen Wortbeitrag meldeten, niedergemacht wurden – mit Fußgetrappel und Grölen. Auch die Mutter habe an der Münchener Fotoschule chauvinistisches Verhalten erlebt, weiß Röhrig. Es sind Frauen aus verschiedenen Generationen, „die zunächst ihren Neigungen folgen, bis sie beschließen, an der Seite ihres Mannes glücklich zu werden“. Allerdings mit angezogener Handbremse. „Gebildete Menschen beherrschen sich“, wird Röhrig schon als Kind aufgetragen. „Man lässt sich nicht von den eigenen Gefühlen überwältigen.“ Wie war das, fragt sie sich heute, als Hans und Christine von Dohnanyi ins Gefängnis kamen? Wie hat die junge Tochter, die später ihre Mutter werden sollte, ihre Ängste ertragen, wie die lebenslange Beklemmung? Welche Folgen hatte ihre Angst für die Familie? Es gibt viele Fragen, die Röhrig der Mutter im Buch stellt, und die unbeantwortet bleiben. Dennoch hat der Prozess des bewussten Erinnerns sie ihrer Mutter auf eine Art nahegebracht, wie es zu deren Lebzeiten nicht möglich war. Zur Fremdheit trugen Befehle bei wie: „Lies erst, bevor du sprichst.“ Oder der titelgebende Glaubenssatz: „Du wirst noch an mich denken“, der anstelle von Argumentation vielfach einsetzbar war.
Sie habe ihre Mutter besser verstehen wollen, sagt Dorothee Röhrig, die erfolgreiche Journalistin und Autorin geworden ist, und deshalb ihre „Lebenskiste“ mit Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Fotos geöffnet. Sie hat Antworten gesucht. „Vielleicht ist dies die Aufgabe meiner Generation.“ Gelungen ist ihr eine sehr persönliche Lektüre, die zugleich über das Private hinausweist. Mit ihrem Buch habe sie sich ein Geschenk gemacht, bilanziert sie im Nachwort. „Zwei Jahre mehr mit meiner Mutter. Es ist ein Geschenk an uns beide.“ Und an die Lesenden.

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