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Von Pandemie und Baumarkt19.04.2023



Interview: Thea Drexhage Foto: Axel Biewer
MoX: Die Pandemie liegt hinter uns. Wie läuft es aktuell?
Olaf Strieb: Ich stimme nicht komplett in den vermeintlichen Jubelchor innerhalb der deutschsprachigen Theaterlandschaft ein, dass nahezu alles so ist wie vor Corona. Das ist nicht so und da mache ich auch keinen Hehl draus. Die Spielzeit 2019/20 lief darauf hinaus, die erfolgreichste Spielzeit während meiner bisherigen Intendanz zu werden. Schauen wir auf die Besuchenden des Februars 2023, dann sind das ungefähr 2/3 der Gäste des Februar 2020, vor dem Lockdown. Das finde ich absolut nicht zufriedenstellend.
MoX: Wo lagen in den letzten drei Jahren die größten Herausforderungen?
Olaf Strieb: Die größten Herausforderungen waren permanent, das ganze Haus auf Stand-by zu halten und sich zu fragen: Machen wir jetzt wieder auf? Machen wir nicht auf? Wir erinnern uns alle, dass seitens der Regierung diese Lockdowns ja immer nur über einen sehr sehr kurzen Zeitraum angegeben wurden. Das ist einerseits nachvollziehbar, aber andererseits für unseren Arbeitsbereich sehr schwierig. Diese Lockdowns waren ja maximal für 1-2 Monate angesetzt und dann stand man immer auf der Fußbremse und rätselte, wann man wieder Gas geben darf. Man hat angefangen zu arbeiten und dann wurde wieder geschlossen. Dieses Hin und Her war unglaublich mühsam. Im Zuge der Lockdowns war ja auch dieses Haus komplett in Kurzarbeit. Die Mitarbeitenden waren zwar, wenn es wieder losging, motiviert, aber da hat Corona ja trotzdem vielen nicht gutgetan. Wenn ich an die letzte Spielzeit denke, von August 2021/ 2022, das war die erste Spielzeit, die wir wieder regulär gespielt haben, allerdings unter den Coronaauflagen, wo es hieß, dass es jetzt wieder von 0 auf 100 funktionieren muss, das war natürlich nach monatelanger Kurzarbeit schwierig. Zusätzlich dazu, weil wir ja auch ein Abstecher-Spielbetrieb sind, und dann während Corona nur vor halbvollen Sälen spielen konnten, haben wir alle Stücke auf pausenlose 1,5 Stunden eingedampft, um gleich 2 Mal hintereinander spielen und das Publikum entsprechend bedienen zu können. Das waren logistisch-dispositorische Herausforderungen, die allesamt nicht ohne waren, aber wir haben es gemeistert.
MoX: Sind abgesehen von den Besucherzahlen noch Nachwehen zu spüren?
Olaf Strieb: Die Nachwehen sind gesamtgesellschaftlich zu beobachten. Auch wir haben nach wie vor durch alle Abteilungen extrem hohe Krankenstände. Man merkt, dadurch dass wir uns ja auch alle in Isolation voneinander begeben haben, dass unsere Immunsysteme so runtergefahren wurden, dass jetzt die profanste Erkältung die Menschen aus den Pantinen haut. Es gibt gar keine Coronafälle, aber permanent andere Erkrankungen und das macht den Vorstellungsbetrieb sehr schwierig, wenn die Schauspielenden erkranken. Ich glaube, unsere Regieassistenzen haben mittlerweile jede Rolle eingelesen. Wir können ja auch die Vorstellungen nicht pausenlos absagen, weil wir auch nicht wissen, wie wir das terminlich wieder nachholen sollen.
MoX: Dazu kam die Renovierung des Stadttheaters und der provisorische Umzug in einen leerstehenden Baumarkt. Wie haben das die Wilhelmshavener*innen aufgenommen?
[font=Bembo]Olaf Strieb:: (lachend) Nach Corona war uns plötzlich langweilig und wir haben uns gesagt, gut, dann gehen wir nochmal aus unserem Haus raus. Wir waren von August letzten Jahres bis Februar in unserem Provisorium 29. Da hat meine Bühnentechnik aus einem Baumarkt ein wunderschönes, tolles, plüschiges Theater mit 400 Sitzplätzen gemacht, das glaubt man gar nicht. Es war sehr atmosphärisch und heimelich, auch, wenn der Regen auf das Stahldach trommelte. Unser Team ist unglaublich flexibel und hat Übermenschliches geleistet. Vom Publikum wurde es gemischt angenommen. Auf der einen Seite war eine sehr große Neu[/font]gier da, aber auf der anderen Seite gab es auch eine kleine Menge, die gesagt hat, dass sie das im Baumarkt lieber nicht anschauen möchten. Aber das Gros der Gäste ist gekommen. Bei den Unterhaltungsstücken haben wir mehrfach vor ausverkauftem Haus gespielt, aber zeitgenössisch-moderne Literatur hatte es da etwas schwieriger. Da wurde teilweise nur vor 120 Menschen gespielt, aber die Leute sind gekommen und haben es trotz einiger Sicht- und Tonprobleme sehr genossen.
MoX: Norden, Weener, Aurich, um nur einige zu nennen - Warum ist es für Sie so wichtig, das Theater auch in die ländlichen Regionen zu bringen?
Olaf Strieb:  Das ist der Auftrag der Landesbühne und Hand auf’s Herz, dieses Theater hätte ohne das Bespielen des Spielgebietes, ohne diesen Zweckverband, gar keine Daseinsberechtigung. Es würde nicht funktionieren, würden wir nur in Wilhelmshaven mit seinen 76.000 Einwohnern spielen. Wir sind ein Theater für die Fläche und das Schöne ist, dass wir neben Wilhelmshaven für 11 feste Spielorte als Stadttheater fungieren. In den meisten Spielorten gibt es ein hohes Identifikationspotenzial mit der Landesbühne. Es ist sehr wichtig, in den kulturstrukturschwachen Regionen die Menschen mit Theater grundzuversorgen und das ist das tolle am System Landesbühne. Wir haben diesen extrem festen Zweckverband mit 12 Städten und 4 Landkreisen, der seit Jahrzehnten fest hinter diesem Theater steht, über alle parteipolitischen Strömungen hinweg. Alle stehen zur Landesbühne und das lässt einen das manchmal müde Intendatenhaupt ruhig auf das Kopfkissen betten.
MoX: Worauf darf man sich in der kommenden Spielzeit freuen?
Olaf Strieb:   Auf Grund der Auslastungszahlen haben wir den Spielplan nicht modifiziert, sondern bauen auf unser bewährtes 3-Säulen-Modell:  Klassikerpflege, zeitgenössisch-moderne Literatur und Unterhaltung, wo dann hoffentlich für jeden Geschmack etwas dabei ist. Bei der Klassikerpflege bedienen wir auf der einen Seite die Abiturstoffe wie „Hamlet“, „Woyzeck“, „Maria Stuart“ oder klassisches der Moderne wie „Warten auf Godot“. Im Unterhaltungsbereich werden wir als großes Musical die „Adams Family“ geben oder Agatha Christies „Und dann gab es keines mehr“ oder „The Party“ von Sally Potter, in 2017 sehr prominent verfilmt, eine bitterböse britische Konversationskomödie, bei der sich das Personal im Verlauf einer Party verbal zerfleischt, hoffentlich zum Vergnügen der Zuschauenden. Zeitgenössich-modern wird u.a. „Anfang und Ende des Anthropozäns“ von Philipp Löhle aufgeführt, eine unglaublich amüsante Dystopie, in der die Menschheit zusehends verblödet und Menschen die nur noch Nummern tragen, müssen sich verpaaren, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Man darf sich auf eine sehr gesunde Mischung freuen.
MoX: Sie sind seit 2013 Intendant, was war in den vergangenen Jahren ihr persönliches Highlight?
Olaf Strieb: Ganz ehrlich, ich glaube das erlebt man als Theatermacher nur sehr selten, das war neben den ganzen künstlerischen Erfolgen, die wir gefeiert haben, 2016 die Eröffnung des TheOs, der Studiobühne, direkt am Bontekai mit riesigen Panoramafenstern mit Blick auf das Hafenbecken. Ein wunderschönes, kleines Studiotheater, das unsere große Förderin Angelika Reichelt, die das Gebäude ja erworben hat, uns und dieser Stadt geschenkt hat. Die Eröffnung im Februar 2016 war für mich fast so etwas, wie die Geburt eines Kindes und da denke ich unglaublich gern dran zurück.


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