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Trinken ohne Rausch!10.09.2021



Dumm nur, dass mit Blick auf mögliche Polizeikontrollen derlei Spritztouren dem Fahrer nichts weniger als alkoholische Enthaltsamkeit nahe legten. Dabei war die Auswahl an alkoholfreien Getränken in früheren Zeiten in puncto Bier lachhaft: Es gab Clausthaler, Clausthaler oder Clausthaler – und wer solch einen alkoholfreien Gerstensaft aus dem Brauhaus Binding in den 1970er Jahren einmal probiert hatte, verlegte sich hernach mit Sicherheit aufs Ordern von Softdrinks.
Tempi passati! „Heutige alkoholfreie Biere schmecken ganz anders als früher“, unterstreicht Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer Bunds (DBB), den wachsenden Erfolg von alkoholfreiem Bier. Und er ergänzt: „Die Qualität hat sich drastisch verbessert“. Bei fast 7000 hierzulande existierenden Biermarken sind mehr als 700 davon alkoholfreie Biere und Biermischgetränke; neben klassischen Sorten wie Pils, Weizenbier oder Radler drängen zudem regionale Spezialitäten wie Kölsch und Alt als alkoholfreie Varianten auf den Markt. Wie sehr dieser Nischengetränkebereich nachgefragt wird? Laut diesjähriger April-Ausgabe des Fachblatts für den Lebensmittelhandel, der rundschau, haben in Deutschland alkoholfreie Biere und Biermischgetränke über die letzten zehn Jahre so stark zugelegt wie keine andere Sorte. Wurden anno 2010 nach Branchenangaben noch rund 430 Millionen Liter alkoholfrei produziert, verkauften Deutschlands Brauereien ´20 trotz Corona und eines viermonatigen Lockdowns der Gastronomie bereits mehr als 660 Millionen Liter alkoholfreies Bier und Malztrunk. Weil viele alkoholfreie Biere mineralisch und isotonisch sind, erfreuen sie sich auch bei Sportlern wachsender Beliebtheit.
Nimmermüd beharren Puristen darauf, dass alkoholfreie Biere etwas Gewolltes und nichts Gewordenes sind. Um solch verbale Feinsinnigkeit nachvollziehen zu können, müssen wir kurz auf den Entstehungsprozess des Gerstensafts eingehen: Beim „echten“ Bier wird  gemälztes Getreide in Wasser gegeben und erhitzt. Dabei wandeln die Enzyme, die beim Keimen im Getreidekorn gebildet wurden, die Stärke in Malzzucker um. Dann wird Hefe dazugegeben, und jene wandelt wiederum bei der Gärung den Malzzucker in Alkohol um. Will man das so nicht haben, weil einen der Alkohol stört, müssen wir irgendetwas anders machen. Entweder wird die Gärung normal durchgeführt und man versucht nachher, den Alkohol wieder zu entziehen oder wir steuern den Prozess so, dass der Alkohol gar nicht erst entsteht. Das ist tricky – und so sehr man sich auch anstrengen mag, irgendein Element, das wichtig ist für den Geschmack bleibt immer ein bisschen auf der Strecke. Es gibt dabei eine Reihe ziemlich technischer Verfahren wie das Hefe-Kälte-Kontaktverfahren, die Umkehrosmose, die Hefe-Säurebakterien-Mischgärung und wasweißichnoch, aber uns interessiert hier ja weniger die Technik im Detail als vielmehr das Ergebnis.
Formuliert Rüdiger Galm, Leiter Produktentwicklung bei der Schweizer Brauerei Feldschlösschen, das Credo eines jeden Brauers: Die Kunst besteht darin, ein  nach Bier schmeckendes, wirkliches alkoholfreies Bier mit möglichst wenig Zucker zu kreieren. So gesehen stellt alkoholfreier Gerstensaft die Königsdisziplin des Brauers dar. Dieser Meinung ist auch Elisa Raus, Bier-Sommelière aus Stralsund, die unterstreicht, dass man am alkoholfreien Bier  erkennt, wer sein Handwerk beherrscht. „Früher trank man alkoholfreies Bier nur, wenn man noch fahren musste, heute schämt sich niemand mehr dafür, es auch sonst zu tun“.
Wer sich die Entwicklung über die letzten Jahre aus internationalem Blickwinkel zu Gemüte führt, mag verwundert feststellen, dass sich ausgerechnet die Briten dem Trend zum Trinken ohne Rausch gegenüber aufgeschlossen genug zeigen, um hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Als James Watt, der Gründer der Craft-Biermarke Brewdog im vergangenen Jahr die erste Brewdog Bar AF im Londoner Eastend mit 15 alkoholfreien Craft-Bieren im Angebot eröffnete, steuerten allein im ersten Monat 20 000 Gäste die In-Location an; weitere Filialen sind in Planung, nicht nur in der britischen Metropole.
Im hippen Londoner Ausgehviertel Eastend erfreuen sich längst auch sogenannte Mindful Drinking Festivals steigender Beliebtheit; Seedlip, das erste alkoholfreie Destillat, kam 2016 auf den Markt, inzwischen gibt es rund 70 Mitbewerber. Ben Branson, der Gründer von Seedlip, hat sich den Slogan „What to drink when you are not drinking“ schützen lassen, denn genau darum geht es hier: ein erwachsenes Getränk zu bieten, wenn man nichts trinken möchte. Vielleicht einen Seedlip Garden, der Aromen von Erbsen, Rosmarin und Thymian hat. Branson empfielt, ihn mit Tonic zu trinken. Auch wenn er ohne Wacholder ist, kommt der Drink einem Gin Tonic schon recht nahe.
Rob Simpson, Barchef im schwer gehypten Londoner  Restaurant Clove Club, gibt sich in Interviews überzeugt, dass „die Getränke für alle Gäste ein besonderes Erlebnis darstellen müssen, nicht nur für jene, die sich für Cocktails mit Alkohol entscheiden“. Ein großer Teil der Zutaten für die Drinks des Clove Clubs sind hausgemacht. Barmann Simpson nutzt dafür ganz selbstverständlich die Technik seiner Kollegen in der Küche: Sous-vide-Garer, Dörrgerät, Mixer und Siphon. So bekommt der Gast zum Lammgericht einen Drink aus reduziertem Rote-Beete-Saft, der, ergänzt durch das Wasser rehydrierter Trockenpflaumen, perfekt passt. Und obendrein noch gut fürs Geschäft ist: Wer nichts trinkt, bestellt oft nur Wasser. Mehr Umsatz generiert man, wenn man sich ein paar Gedanken macht zum Thema alkoholfreie Getränke.
Wie´s schmeckt? Ausprobieren – und Cheers!

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